Unser Dorf hat sich in den letzten 30 Jahren schneller
verändert als
in den Jahrzehnten zuvor. Das ist die Folge von strukturellen Veränderungen,
deren Ursprung man bis in die 70er Jahre zurückverfolgen kann.
Einige Beispiele:
Soziale Bindungen entstanden früher wie von selbst durch den gemeinsamen Schulbesuch, das politische Gemeindeleben, gemeinsame Freizeit innerhalb des Dorfes, durch Vereine und durch die Familien, deren großer Teil im gleichen Dorf lebte. Beziehungen zwischen „alten“ und „neuen“ Wernbornern konnten sich ohne großes Zutun entwickeln, weil sich der Zuzug in vergleichsweise kleinen Dosierungen vollzog und weil die Anlässe der Begegnungen im Dorf häufiger waren.
Und heute? Jeden Tag begegnen sich im Dorf Menschen, die sich nicht kennen,
die sich nicht grüßen. Gemeindepolitik findet heute woanders statt,
wodurch die Menschen sich zwangsläufig immer weniger dafür interessieren.
Ein verschwindend geringer Teil der Wernborner verdient sein Geld im Dorf,
die allermeisten fahren morgens hinaus und kommen erst abends wieder. In
die Vereine geht, wenn überhaupt, der sich für ein spezifisches
Angebot interessiert und weniger, weil er oder sie Gemeinschaft sucht.
Die Einkäufe erledigt man bequemer auf dem Nachhauseweg von der Arbeit
oder noch bequemer im Online-Shop und für den Kneipenbesuch ist man
abends viel zu müde.
Das alles ist beileibe nicht zu beklagen und schon gar nicht darf man daraus
folgern, dass früher alles besser war. Auch kann man niemandem daran
die Schuld geben. Höchstens dafür, dass man nicht rechtzeitig versucht,
den wohl unvermeidlichen gesellschaftlichen und strukturellen Veränderungen
den Wert der Gemeinschaft entgegenzusetzen.
Gemeinschaft ist die Seele eines Dorfes. Ohne Gemeinschaft ist jedes Dorf
nichts weiter als eine beziehungslose Anhäufung von Wohngelegenheiten.
Soweit wollen wir es in Wernborn doch nicht kommen lassen, das hätte
es nicht verdient.
Deshalb ist die Antwort auf die anfänglich gestellte Frage ein überzeugtes
Ja.
Das Begehen des 825jährigen Jubiläums ist mehr als ein Fest. Es
bietet die Gelegenheit, dem Trend etwas entgegenzusetzen. Es bietet die Chance,
an die gemeinsamen Wurzeln zu erinnern, das „Wir-und-unser-Dorf-Gefühl“ von
heute und morgen zu entwickeln und damit die Weichen für eine Zukunft
zu stellen, in der Dorfgemeinschaft eine Rolle spielt.
Und dann ist da noch ganz abseits der großen Worte ein ganz einfacher
Grund: Es haben sich bislang über 60 engagierte Menschen zusammengefunden,
die von der Idee begeistert sind, ein Dorfjubiläum zu organisieren und
zu feiern. Allein das wäre schon Grund genug, oder?
Weil so ein Jubiläumsjahr kein punktuelles Ereignis wie etwa eine Firmengründung
ist. Es ist vielmehr eine Entwicklung, die möglicherweise Jahre braucht.
Das Jubiläumsjahr ist nicht nur ein Fest, es ist Zukunft.
Zukunft will beharrlich gestaltet werden. Das ist kein exklusives Privileg
der Mächtigen, der Politiker, der Bankvorstände und Konzernlenker.
Nein, wir alle gestalten Zukunft bereits heute und in jeder Minute. Jeder
in seinem eigenen Wirkungskreis in der Familie, im Verein, am Stammtisch
oder am Arbeitsplatz.